Die Fahrt hierher ist abenteuerlich. Wir wollen mit dem Local Bus zum Bus- Terminal, stellen uns also an die Straße und warten. Einige Busse fahren vorbei oder beantworten unsere Handzeichen mit anderen Zeichen und lassen uns stehen. Ein Rikscha-Fahrer bietet seine Dienste an. Obwohl wir sehr bestimmt ablehnen, hält er den nächsten Bus für uns an. Wir sind beide von dieser menschlichen Größe schwer beeindruckt.
Am Bus-Terminal stellt sich heraus, dass es keine Direktverbindung nach Kaliurang gibt. Mit einem weiteren Local Bus drehen wir einen Halbkreis um Yogyakarta. Der kaum 20-jährige Schaffner hat seinen Bus im Griff
: An den Haltepunkten wird kaum angehalten, beinahe im Fahren noch springen Menschen rein und raus. Wir sind nicht sicher, an welcher Haltestelle wir in den Minibus umsteigen müssen. Doch für uns wird gesorgt: Wir werden informiert, bekommen noch einen Hinweis, wo der Minibus hält und müssen mit unseren Rucksäcken auch nicht im Fahren abspringen. Gleich hilft uns ein Mann über die viel befahrene Straße und führt uns zum Minibus. Eine Art Mercedes-Bus mit verstärkten Bodenblechen, einem starken Motor aber sonst überwiegend rostig und verschlissen. Wir sind die einzigen Langnasen. Gezahlt wird beim Aussteigen. Es geht beständig bergauf. Kaliurang liegt 900 Meter über NN. In Pekan müssen wir unvermittelt umsteigen. Der neue Minibus ist bis an den Rand mit Menschen und Lebensmitteln gefüllt. Auf einem guten Meter Zwanzig kommen vier Menschen und zwei Kartons. In der Tür steht ein Reissack. Unsere Rucksäcke liegen auf dem Dach. Der Anlasser des Busses dreht durch, der Motor startet nicht. Kein Problem für den Fahrer: wir stehen am Hang, er legt den Rückwärtsgang ein und lässt die Schwerkraft anschieben.
Noch einmal eine gefühlte Stunde bergan. Wir fahren nach Kaliurang ein. Eigentlich müssten wir hier wie alle Besucher 2500 Rp. Eintritt zahlen, aber unser Fahrer prescht mit Hupen durch. Es geht immer weiter bergan.
Als außer uns nur noch eine alte Frau im Auto sitzt fragt unser Fahrer, ob wir zu ‚Vogels‘ wollen. Da wollen wir hin. Es wird für uns gesorgt.
Kalurang ist vornehmlich für einheimische Touristen gemacht. Es gibt einen Vergnügungspark, einen Aussichtspunkt und natürlich den Forest-Park. Die drei Tage, die wir hier oben sind, gibt es aber nur sehr wenige Gäste und der Ort wirkt leer.
Bei ‚Vogels‘ buchen wir einen sehr schönen Raum im ‚Weißen Bungalow‘, mit Blick auf den Vulkan, wenn er denn in den Wolken zu sehen wäre. Eine friedliche Atmosphäre hier oben, auch die Temperaturen sind viel angenehmer, frische Luft, ein leichtes Frösteln, es ist wunderbar. Das ‚Vogels‘ wird von einer einheimischen Familie betrieben. Sehr freundlich, zuvorkommend und nett. Der Inhaber ist eine Autorität hier am Berg und organisiert Führungen in die ‚verbotene Zone‘. Wir buchen einen Treck gleich für den nächsten Morgen. Um vier Uhr morgens soll es los gehen, fünf Stunden Wanderung hin und zurück. Wir erfahren, dass der Merapi der aktivste und destruktivste Vulkan der Welt ist und etwa alle 5 Jahre einen größeren Ausbruch hat. 2006 zum letzten Mal.
Nachdem wir etwas gegessen haben, gehen wir in den Forest-Park. Dieser Landschaftspark führt durch Regenwald zu einem Aussichtsturm, von dem wir einen prima Blick auf Merapi haben. Der Turm hat drei Etagen und einige ziemlich rostige Bodenplatten. Wir treffen drei Studenten aus Sumatra, die zum ersten Mal auf Java sind und gleich ein Foto mit uns machen wollen. Eine Gruppe junger Männer und Frauen mit roten Reisbauerhüten und schwarzen Streifen ins Gesicht gemalt sitzt unter dem Turm und picknickt. Als wir gehen kommt eine gleich aussehende Gruppe mit gelben Hüten, dann eine mit grünen. Offensichtlich eine Schnitzeljagd. Unterwegs treffen wir die Türkis-Hüte an einer Station. Sie werden von einer jungen Frau mit Kopftuch „zusammengeschissen“. Ein Mann, der für die Gruppe spricht, antwortet abgehackt, laut in militärischem Tonfall. Ab und an ruft die ganze Gruppe in diesem Tonfall. Ein etwas gruseliges Szenario. Welche Inhalte sind hier noch mit im Spiel?
Der Weg zurück führt an einem Wasserfall vorbei, an dem uns alte „Vertraute“ wieder begegnen, die Makaken. Sie seilen sich an Lianen ab, springen von Baum zu Baum und fauchen uns an.
Am nächsten Morgen um 3.30 Uhr sitzen wir mit Christian Ayun im Gastraum, und er erzählt über Merapi. Gerade in letzter Zeit ist der Berg sehr aktiv, es besteht Warnstufe 2 von 4: Das heißt ‚aufpassen‘. Es gibt noch einen Kaffee und eine Banane. und um 4 Uhr brechen wir begleitet vom Gesang der Muezzin auf. Der Bruder von Christian Ayun führt uns schweigend. Mit Taschenlampe geht es durch den dunklen Wald, teilweise auf schmalen Pfaden immer bergan.
Nach etwa neunzig Minuten halten wir an. Es dämmert schon etwas und wir können vor uns den Vulkan Merapi sehen.
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(Panorama: auf das Bild klicken und Bild mit gedrückter Maustaste bewegen…)
(Wenn ihr mehr über den Berg Merapi erfahren wollt, hier klicken…)
Jetzt bricht unser Führer sein Schweigen, er kann gut Englisch und beginnt zu erzählen: Hier wo wir stehen befand sich bis etwa 1950 das Dorf Kaliurang, doch nach einem Ausbruch bekamen die Einwohner Angst und suchten einen neuen Ort. Die Stelle des alten Dorfes wurde von der Regierung mit Pinien bepflanzt: Hier darf niemand mehr siedeln. Unter uns in einer Schlucht befindet sich ein weiteres Dorf. Hier wohnen Farmer, die Kühe züchten. Unser Guide bezeichnet sie als ’nicht modern‘ aber auch ’nicht primitiv‘. Die Menschen, die hier wohnen gehen täglich hoch in die verbotene Zone um Gras für ihre Tiere zu schneiden. Später treffen wir noch einige von ihnen. Sie glauben, dass der Berg ein Königreich sei und der König dieses Königreiches sei der Leibwächter des Sultans in Yogyakarta. Dieser Leibwächter beschütze auch ihr Dorf und von dem Berg könne daher keine Gefahr ausgehen. Einmal im Jahr wird dem Berg geopfert. Der Sultan opfert aber nicht persönlich, sondern sendet seine Beamten in das Dorf, die ihre Gaben hier den Bewohnern übergeben. Diese gehen dann zum Berg und opfern.
90% der Einwohner Javas sind Moslems, erfahren wir. Die restlichen zehn verteilen sich auf Hindus, Buddhisten, Christen und andere. Wie geht das Opfern mit dem Islam zusammen? Religion Javas war zuerst animistisch, dann hinduistisch. Buddhistischer Einfluss kam hinzu. Die letzten beiden verbanden sich, wie in Prambanan zu sehen. Der Islam kam später und unterwanderte die vorherrschende Religion Stück um Stück. Das die Herkunft des Opferns hinduistisch ist, scheint die islamische Bevölkerung nicht zu kümmern. Unser Führer meint, überwiegend seinen die Moslems auf Java Hindus mit einem moslemischen Mantel. Es gebe auch wenig radikale Islamisten hier. Vielleicht 0,1%. Allerdings sei seit den 1980er Jahren ein Anstieg absoluter Tendenzen zu erkennen. Vor 1980 hätte man auch keine Kopftücher oder verschlossene Bekleidung bei Frauen gesehen.
Wir erfahren noch einige Geschichten um den Berg, Volksglauben, seine Assoziation mit Shiva, wie die Assoziation Durgas mit dem Meer. Beide seien von den Menschen früherer Zeiten verehrt worden. Bis 1984 hätten auch die Bewohner des neuen Kaliurang an eine solche Geschichte geglaubt. Sie hatten unterhalb eines kleinen Berges gesiedelt, den sie den Onkel von Merapi nannten. Ein Neffe (Merapi) werde aber nie seinen Onkel überrollen, daher seien sie hier sicher. 1984 geschah es dann, dass ein Fluss trockener Lava diesen Berg überrollte und einen Teil des Dorfes auslöschte. Trockene Lava bewegt sich im Gegensatz zu flüssiger sehr schnell, mit 60 bis 100 km/h. Sie besteht aus glühend heißen Steinen, Staub, Sand und Gas.
Wir steigen weiter auf. Die Taschenlampen brauchen wir jetzt nicht mehr. Unterwegs treffen wir einige Bauern, die Gras für ihre Tiere schneiden. Barfuß oder in Schlappen, mit einfacher Sichel und etwas pflanzlichem um das Gras zusammen zu binden. Eine andere Zeit, ein anderes Leben. Später, beim Abstieg treffen wir eine alte Frau, die Brennholz sammelt. Auch sie ist den steinigen Weg barfuß gekommen.
Wir erreichen unseren Aussichtspunkt und sehen die Spitze Merapis in Wolken. Diese Wolken kreisen um den Gipfel. Wir erfahren, dass dort oben die Winde von allen Richtungen kommen und so eine Kreisbewegung erzeugen. Auch sind es nicht wirklich Wolken, sondern der Rauch und das Gas, die aus allen Ritzen des Gipfels kommen. Merapi hat keinen Krater mehr sondern einen Dom, da sich flüssiges Magma von unten nach oben geschoben und beim Erkalten den Dom ausgebildet hat. Plötzlich kommt ein starker kalter Wind auf, Glück für uns, und pustet den Gipfel fast frei.
Der Abstieg ist schneller und führt einen anderen Weg entlang durch den Regenwald. Über uns segeln kreischend Adler. Bei Vogels angekommen verabschiedet sich unser Führer schnell und überlässt uns dem Frühstück.