Kambodscha
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Sihanoukville

(diesen Text haben wir gemeinsam geschrieben, ‚ich‘ ist in diesem Fall Robert)

Früh am Morgen brechen wir zum Flughafen von Singapur auf, die U-Bahn fährt um diese Zeit noch nicht und so nehmen wir ein Taxi. Mit jedem Flug nimmt meine Flugangst zu (hallo Steffi!), so bange ich auch dieses Mal, frage mich, wie viele Flüge ein Mensch im Leben ‚frei‘ hat und freu mich auf die bevorstehende flugfreie Zeit in Kambodscha und Laos.

Wir wissen gar nicht so richtig, was uns in Kambodscha erwartet und sind ganz aufgeregt. Wir beschließen von der Hauptstadt Phnom Penh gleich weiter an das Meer nach Sihanoukville zu fahren. Ich möchte unbedingt meinen Geburtstag im und auf dem Wasser mit viel Sonne feiern, eben mal ganz anders als sonst im verregneten und grauen November Deutschlands.

Die Visa bekommen wir am Flughafen von Phnom Penh. Ein Geldautomat, der Dollars ausspuckt, steht direkt am Einreiseschalter. Der amerikanische Dollar ist die eigentliche harte Währung in Kambodscha, unabhängig vom jeweiligen Bankenkurs wird er im ganzen Land mit 4000 Riel, der eigentlichen Landeswährung, verrechnet.

Mit einem Taxi fahren wir in die Stadt. Herrliches Morgenlicht, angenehm kühl und im Vergleich zu Indonesien und Singapur trocken. Es gibt ein paar Missverständnisse mit dem Tuk Tuk-Fahrer, der andere Informationen zur Weiterfahrt hat als unser Reiseführer. Es geht ums Fahrtziel. Er merkt unsere Unsicherheit, sagt, wir bräuchten keine Angst haben, er sein ein guter Mensch. Es ist früh am Morgen, der Tag noch lang und wir werden lockerer, vertrauen. Nicht in der Innenstadt, am Fluss liegt der Paramount-Busbahnhof. Wir bekommen noch zwei Plätze in der letzten Reihe des 11-Uhr-Busses. Telefonisch machen wir unsere Unterkunft klar. Wochenende: die einfachen Zimmer sind ausgebucht. Der Bus ist zu fast 90% mit Kambodschanern gefüllt. Wer es sich leisten kann in Phonm Penh fährt ab und zu am Wochenende ans Meer. Busfahren ist billig. Die vierstündige Fahrt kostet gerade einmal $6.

Die Busfahrt nach Sihanoukville führt durch die Vororte Phnom Penhs, entlang weiter grüner Felder und großer, mit Mauern umgrenzter, sonst aber scheinbar ungenutzter Areale, die wir schon aus dem Flugzeug gesehen haben. Wer steckt hier sein Terrain ab? Gefahren wird mindestens so waghalsig wie in Indonesien. Da die Vorfahrt irgendwie auch mit Breite und Gewicht und der damit verbundenen Unfähigkeit auszuweichen oder zu bremsen zu tun hat, kommen wir gut voran. Wir fahren auf eine Gebirgskette zu und dann hindurch. Kurz vor Sihanoukville kommen wir an einem Flughafen vorbei. Seit einem Unfall 2007 ist der Flugplatz geschlossen. Bald darauf kommen wir am wichtigsten Joint-Venture für den Tourismus vorbei: Mit Carlsberg als Partner wird hier das Bier für das gesamte Land gebraut, Angkor Bier – natürlich. Gegen 15.30 liegt wunderschönes Nachmittagslicht über dem Land. Am Busbahnhof, eher eine lehmige Einfahrt, in der der Reisebus gerade einmal Platz hat, warten schon die Tuk-Tuk und Motofahrer auf uns. Je ein Motofahrer heftet sich uns an die Seite – sehr junge Männer, die diesen Job unbedingt haben wollen. Ihre Augen zeigen wirklich Enttäuschung, als wir uns des vielen Gepäcks wegen (für einen Asiaten, wäre das nämlich kein Hindernis, da wäre auch noch ein ganzes Bett mit auf das Motorad gegangen) für ein Tuk-Tuk entscheiden. Die letzte Strecke zum Strand ist nicht gepflastert, die Erde ist rot, überall liegen große und kleine Steine, riesige Schlaglöcher erschweren das Vorankommen. Alles wirkt rauh, unfertig und noch im Entstehen. Uns gefällt diese Atmosphäre vom ersten Augenblick an. Wir wohnen im Coasters, direkt am Strand. Kaum dass wir uns eingerichtet und etwas gegessen haben, müssen wir natürlich ans Wasser. Links vom Hotel liegt die kleine Fußgängerpromenade. Die Landseite ist mit strohgedeckten Strandbars zugepflastert. Überall gibt es billigen Alkohol, Satelite-Chairs und Strandliegen. Auf den ersten 500 Metern viele Westler, nach dem Hauptaufgang überwiegend Kambodschaner. Bis auf die Kinder alle in ganz normaler Kleidung. Und in dieser Kleidung wird auch gebadet. Man geht einfach so ins Wasser wie man ist. Nass oder trocken – es macht keinen Unterschied.

Erschütternd erleben wir die vielen schmutzigen und finster blickenden Kinder, die am Strand versuchen Souvenire und Brillen zu verkaufen. Straßenkinder sind hier keine Seltenheit. Und obwohl in den verschiedenen Broschüren darüber aufgeklärt wird, nichts von Kindern zu kaufen und ihnen kein Geld zu geben, gibt es immer wieder Touristen, die feilschen und kaufen. Doch mit jedem erfolgreichen Geschäft wird indirekt die Kinderarbeit unterstützt, die Kinder bleiben auf der Straße und ein regelmäßiger Schulbesuch rückt in weite Ferne. Es fällt uns wirklich schwer, jedes Mal freundlich abzulehnen.

Noch fühlen wir uns fremd in diesem Land, einem Land, das versucht, sein Trauma seiner frühen Geschichte zu überwinden. Bis in die 1940er Jahre französich okkupiert, im WW2 von den Japanern eingenommen, nach Hiroshoma kommen wieder die Franzosen, die das Land jedoch 1953 in die Unabhängigkeit entlassen müssen. Von Mitte der 1950er Jahre erlebt Kambodscha für gut zehn Jahre einen Aufschwung. Der Tourismus entwickelt sich wieder. Im Vietnamkrieg (1946-1975) läüft ein Teil des Nachschubs für die Rebellen in Südvietnam auf dem so genannten Ho Chi Minh Pfad durch Laos und Kambodscha. Ab 1970 wird Laos zum meist- und Kambodscha zum zweitmeist bombardierten Land der Erde. Auch in Kambodscha weiten sich die Konflikte zwischen nationaler Armee und den von China unterstützten roten Khmer aus. 1975 besiegen die roten Khmer die nationalen Truppen und nehmen Phnom Penh ein. Es beginnt eine vierjährige Schreckensherrschaft mit dem Genozid an etwa einem Drittel der Bevölkerung, die erst durch die Intervention der Vietnamesen und deren Besetzung des Landes 1979 beendet wird. Bis 1993 bleibt Kambodscha international isoliert, lediglich die damalige UdSSR leistet Unterstützung in der Zeit vor den ersten Wahlen. Seit der Jahrtausendwende gibt es zumindest in einigen Bereichen eine normale Entwicklung. Viele der internationalen Gelder bleiben jedoch in der korrupten Oberschicht des Landes stecken. Trotz Wahlen gibt es hier praktisch ein Ein-Parteien-System (Links: Vietnamkrieg…, Hoh Chi Minh Pfad…, Kambodscha…, Volkspartei K…, Hun Sen (Staatschef, ehemaliger roter Khmer, korrupt, lesbische Tochter – interessante Mischung)…)

Der Lebenswillen, die Lernbereitschaft, die Freundlichkeit und die Energie der Khmer ist zutiefts beeindruckend und unterscheidet sie von ihren thailändischen Nachbarn.

Am nächsten Tag erkunden wir die nähere Umgebung. Ein heftiger Regenschauer überschwemmt die gesamte Straße, Teile werden zum reißenden Fluss. Wir haben Glück, sitzen während dessen im Trockenen in einem kleinen Friseursalon. Nach gut acht Wochen müssen die Matten runter.

Meinen Geburtstag verbringen wir mit einer Bootstour zu drei Inseln, eine schöner als die andere. Wir schnorcheln, d.h. Thomas versucht es einmal, aber auch in die Leihbrille fließt Wasser, und er lässt es dann bleiben. Ich hingegen genieße das „im Wasser sein“. Viel zu sehen gibt es allerdings unter Wasser nicht. Hin und wieder ein paar Anemonenfische und andere bunte Fische, Korallen sind leider überwiegend nur noch heraus gebrochen an den Souvenirständen zu finden. Auf Bamboo-Island gibt es Lunch, wir lernen eine junge Israelin und ihren kleinen Sohn kennen. Eine kleine Goaprinzessin, die hier überwintern will. Thomas sieht kurz heftig Rot, als sie vom schönen unberührten Kambodscha spricht. ‚Untouched‘, 40 Jahre nach der schlimmsten Bombardierung, 30 Jahre nach einem vernichtenden Genozid, 10 Jahre nach dem Ende der letzten Bürgerkriegshandlungen? ‚Untouched?‘ Hauptsache der Winter ist warm und die kleine Aussteigerwelt ist in Ordnung.

Als die Sonne schon etwas milder scheint, laufen wir ein wenig durch den Dschungel der Insel. Natürlich nur auf dem Weg. Denn überall in Kambodscha, insbesondere aber an der thailändischen Grenze liegen noch Landminen versteckt herum und fordern noch heute ihre Opfer… An jedem touristischen Ort treffen wir junge und auch etwas ältere Männer, denen ein Unterschenkel, ein Arm oder beide Beine fehlen (mehr wissen: Landminen Museum Siem Reap, Kambodscha…)

Um 14.30 fahren wie wieder ab. Von der gleich gegenüber liegenden Insel Ko Tah Kiev holen wir zwei Backpackertouristen ab, die auf dieser wunderschönen Robinson Crusoe Gefühle weckenden Insel geschlafen haben. Der Strand ist unglaublich, das Wasser kristallklar, beide liegen herrlich im warmen Nachmittagslicht. Weil die beiden nicht richtig Abschied nehmen können und unsere Crew am Billard-Tisch des Resorts gefallen findet, bleiben wir fast eine Stunde und können noch einmal richtig baden.

Jeden Tag gehen wir schwimmen und laufen am Strand entlang. Sihanoukville verfügt über etliche oft langgestreckte Strände. Unser Resort liegt am Serendipity Beach, der nahtlos in den extrem langgestreckten Ocheteaul Strand übergeht. Wenn man hier die 1000 Meter Stadtstrand hinter sich gebracht hat, wird es richtig einsam. Einmal laufen wir ihn ganz entlang und über einen Hügel zum abgelegenen Otres-Beach. Hier sind die wilden Strandbars und Unterkünfte gerade abgeräumt worden. Eine Baggerschneise, die einer angelegten Grünanlage Platz schaffen will. Sihanoukville rüstet sich für den zu erwartenden asiatischen Massentourismus. Oft verbringen wir die Zeit am Sokha-Beach, der nur wenige Minuten zu Fuß in die entgegengesetzte Richtung zu erreichen ist. Hier laufen wir nicht ums Kap, sondern nehmen den Weg durch ein anderes Resort. Der Weg am Kap gilt als gefährlich, weil hier Touristen überfallen worden sind. Der Sokha-Strand trägt den Namen eines kambodschanischen Großkonzerns, der hier ein Luxusresort gebaut hat, das zur Zeit überwiegend von Russen bewohnt wird. Nur die ersten 200 Meter des Strandes sind für alle zugänglich, der Rest des Strandes ist den Gästen des zum Strand gehörenden Resorts sowie gegen ein Entgeld auch anderen Touristen vorbehalten. Einheimischen wird der Zutritt verwehrt, ein Wachmann passt auf und trällert sofort mit seiner Pfeife und gestikuliert wild, wenn ein Kambodschaner die ‚Grenze‘ überschreitet. Kindern, die im Wasser spielen, malt er sogar einen Strich in den Sand. Jenseits dieses dürfen sie nicht spielen. Wir finden das ganze Schauspiel sehr befremdlich, eine Zwei-, Dreiklassengesellschaft. Schon aus Protest bleiben wir in dem für alle zugänglichen Bereich des Strandes. Am Wochenende haben wir hier viel Spaß mit kambodschanischen Familien. In der Woche ist es eher still, und Strandverkäuferinnen, -masseurinen, -haarentfernerinnen, Fuß- und Fingerpflegerinnen gibt es hier auch nicht. Angenehm.

Fast jeden Abend gehen wir im Sea View Hotel essen. Einerseits wegen des wirklich guten Essens, andererseits wegen der angenehmen Atmosphäre und nicht zuletzt wegen Jay, einem einheimischen Khmer, der hier arbeitet und den wir näher kennen lernen. Er überredet uns dazu auch mal nachts auszugehen und zu tanzen. So besuchen wir gemeinsam das JJs direkt am Strand und das Utopia, zwei Bars bzw. Clubs, in denen ordentlich getrunken, rumgegrölt und ausgelassen  – an der Stange – getanzt wird. Das JJs ist wild und bunt: Viele Westler und ein paar Khmer. Im Utopia hält es sich fast die Waage. Deutlichster Unterschied: Viele Westler grob gekleidet und manche bis zur Blamage betrunken, die Khmer gut gekleidet und deutlich mehr Cola oder eben gar kein Drink. Alle Bedienungen wissen, dass den Einheimischen das Geld zum Ausgehen fehlt. Sie werden gar nicht nach einer Bestellung gefragt.

An unserem letzten Abend schleppt uns Jay auch noch in einen einheimischen Club ab, in dem außer wenigen Langnasen nur Khmer wie wild tanzen. Der Louis Vuitton Club ist schwarz gestrichen und wird von grellen Stroboskop-Lichtern durchblitzt. Der DJ sitzt auf einer Bühne, wie der einer Turnhalle. Mindestens 20 livrierte Bedienungen flitzen durch den Saal und führen sogar aufs Klo. Jay macht uns mit seinem besten Freund Chiang und seinen Freundinnen bekannt und so tauchen wir immer weiter in dieses Land ein. Es geht nur exzessiv und Thomas erinnert sich an Ostberlin direkt nach der Wende. Natürlich zahlen wir die Drinks und da ‚Nein‘ in Asien so etwas wie ‚OK, gleich…‘ bedeutet, müssen wir nicht nur einen Morgen unseren Kater pflegen.

Da uns der Ort, das quirlige Leben sowie nicht zuletzt die vielen Strände und das kristallklare Wasser hier so gut gefallen und wir auch Jay und seine Freunde wiedertreffen wollen, zieht es uns nach Kampot nochmal einige Tage hier her. Wir übernachten wieder im Coasters und werden mit „welcome back home“ begrüßt. Doch drei Tage später wollen wir wirklich weiter, wir nehmen den Nachtbus nach Siem Reap. Mit wirklichen Betten, einem Liegewagen gleich, erreichen wir ausgeschlafen unser Ziel im Norden des Landes.

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