25-29.12.2010
Laos ist ein einziges großes Dorf, eine Reise in die Vergangenheit, in die Zeit des Ackerbaus und der Viehzucht. Nicht nur Hunde und Katzen laufen selbstverständlich durch die Dörfer, auch Schweine, Hühner, Wasserbüffel und Rinder trödeln autonom die Landstraßen entlang und bringen regelmäßig Busse und Autos zum Stehen.
Wie schon Kambodscha wirkt Laos oft menschenleer. Gerade einmal rund 7 Millionen Menschen leben in diesem Land. Das Leben findet oft an und auf den Straßen statt. Vom Bus aus ist es wie Fernsehen schauen: Die Menschen waschen und lausen sich, Kinder spielen Fußball, tote Hühner werden kopfüber in kochend heißes Wasser getaucht damit sie besser gerupft werden können, es wird über offenem Feuer gegrillt, das Getreide wird gedroschen…
Dieses Land lehrt uns die Langsamkeit. Und wenn wir bereits glauben, noch langsamer könne die Zeit nicht voranschreiten, es geht doch. Das Reisen und insbesondere die Fortbewegung mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist eine Herausforderung für uns und verlangt uns so einiges ab. Gleich unsere erste Busfahrt von den Fourthousand Islands über Pakse nach Savannaketh wird zu einem 15-stündigen Marathon. Von unserer Unterkunft aus Don Khone werden wir mit einem kokosnussschalen-ähnlichen Boot abgeholt und erreichen 20 Minuten später das Festland. Alles andere als ein Paradies: Durch stinkenden Müll an armen Unterkünften vorbei stapfen wir am Ufer bis zur Bushaltestelle. Eine halbe Stunde später geht es mit dem Shuttlebus und einer ordentlichen Brise Staub im Gesicht und zwischen den Zähnen zum Busbahnhof nach Pakse. Dort müssen wir ziemlich überstürzt den nächsten Bus besteigen, in dem bereits eine gute Tonne Zucker, dreilagig in Säcken den Boden bedeckt. Über die krabbeln wir zu den Plätzen und freuen uns über die schnelle Weiterfahrt. Doch weit gefehlt, der Bus fährt in die nächste Parklücke. Abfahrt in einer dreiviertel Stunde, heißt es. Wir bummeln noch einmal über den Busbahnhof, suchen die besten Mandarinen und kaufen ein Kilo für die Fahrt. Als es dann endlich losgeht, hält der Bus an jeder Teekanne, be- und entlädt Waren und Passagiere und kriecht im Schneckentempo vorwärts. Und immer wenn wir glauben, dass der Bus nun endlich voll sei und bis zu unserem Ziel durchfahren würde, werden wir eines besseren belehrt. Frei nach dem Motto (hallo Otti!) ‚Einer geht noch, einer geht noch rein‘ steigen immer wieder Leute dazu, die im Gang auf den Zuckersäcken Platz nehmen. Bei einem weiteren Stopp müssen sie alle kurz wieder aussteigen, denn es werden noch haufenweise Kartons mit Glasflaschen (Sekt? Hier? So sehen die Kisten jedenfalls aus…) auf die Zuckersäcke geladen, und auf den Kartons werden dann wieder die Laoten platziert. Rettungswege ausgeschlossen. Letztlich ist der Bus so brechend voll, dass die Einheimischen Robert schon halb auf dem Schoß sitzen. Eine laotische Comedy läuft jetzt im Bus-TV und Robert hat einen breit grinsenden Kopf direkt vor seiner Nase (wohlgemerkt: in unserer Sitzreihe!).
Nach einer gefühlten weiteren Ewigkeit wagen wir zu hoffen, dass der Bus allmählich an unserem Ziel ankommen müsse. Aber Nein! Plötzlich hält der Busfahrer doch irgendwo, es ist längst stockdunkel, und wir werden in einen anderen Bus verfrachtet. Wir werden umgeladen, weil unser Bus, verspätet wie er ist nun doch nicht nach Savannaketh fährt. Später erfahren wir, dass wir schon weit an der Stadt vorbei waren, wir fahren also wieder in die andere Richtung. Unser neuer Bus ist auch übervoll und transportiert neben Passagieren Eimer weißer Wandfarbe. Nicht nur die Gänge sind voll, viele Passagiere haben die 20kg Klopper auch unter den Füßen. Zunächst sitzen wir auf den Farbtöpfen, doch diese werden bald entladen und wir finden in der letzten Reihe zwischen aufeinander gestapelten Plastikstühlen noch einen Platz. Was geschieht hier? Wir können es nur ahnen. Der Busverkehr ist staatlich subventioniert, die nummerierten Platzkarten billig, das Gehalt der Angestellten klein. Also bauen Sie einen Nebenverdienst mit schwarz beförderten Passagieren und einem eigenständig organisierten Warentransportwesen auf. Bezahlt hat, soweit wir das sehen konnten, immer der Empfänger, Quittungen sahen wir nicht.
Mit fast 5 Stunden Verspätung und mit völlig blank liegenden Nerven kommen wir in Savannaketh an. Die Gasthäuser sind alle schon geschlossen, doch zum Glück fährt ein englisch sprechender Laote mit dem gleichen Tuk -Tuk vom Busbahnhof in die Stadt. Er bringt uns und zwei Gärtnerinnen aus Australien sowie einen Schweizer zu einem ihm bekannten Hotel. Die Tür der Herberge ist schon verschlossen. Unser Mittelmann klopft laut und verhandelt durch die Gittertür: wir werden noch rein gelassen und bekommen eines der originellsten Zimmer in Laos. Diesen ersten alles andere als besinnlichen Weihnachtsfeiertag lassen wir gemeinsam mit den beiden Australierinnen und dem Schweizer bei einer Flasche Bier auf der Terrasse des Hotels ausklingen. Total geschafft fallen wir ins Bett. Schon um 6.30 lockt uns das Licht, wir erkunden das schöne Städtchen Savannaketh und laufen in der Morgensonne durch ihre Straßen, in denen viele wunderschön restaurierte Häuser aus französischer Zeit stehen. Beim westlichen Frühstück mit Weihnachtsmann beschließen wir auch den zweiten Feiertag auf der Straße zu verbringen und unser nächstes Ziel Tha Khaek anzusteuern. Ein Tuk-Tuk rast mit uns zum Busbahnhof und fährt auf einen kleinen Bus los, in dem schon ein paar Einheimische sitzen. Es ist Platz genug, Beinfreiheit ausgenommen – Asiaten sind einfach kürzer – kein Warentransport, kein Overtaking. Auch diese Fahrt verläuft sehr skurril. Zweimal hält der Busfahrer mitten in der Wildnis am Straßenrand an und verschwindet im Gebüsch. Wir warten und warten. Selbst die Rufe eines uniformierten korpulenten, gold-beringten und sonnen-be-brillten Einheimischen (vom äußeren Erscheinungsbild her Parteigenosse) nutzen nichts. Schließlich holt der ihn aus dem Wald. Der Fahrer steigt in den Bus und setzt seine Fahrt fort. Naja, andere Länder andere Sitten.
Als wir Tha Khaek erreichen und uns der Tuk Tuk Fahrer an der Einfahrt zur Travel Lodge absetzt, schauen wir uns beide fragend an und halten vergeblich nach der im Reiseführer so hoch gelobten schönen Kleinstadt Ausschau. Wir befinden uns in einer Ausfallstraße, von Idylle keine Spur. Und als wir das Gelände der Lodge betreten, schlägt zwar mein Herz höher, aber Thomas Gesichtszüge entgleisen völlig. Landidylle statt Stadtromantik, Lagerfeuerstimmung statt urbanem Treiben. Diese Lodge ist Treffpunkt für viele Biker, die auf Mopeds oder Motorrädern den dreitägigen Loop durch die Karstberge fahren und nach dem zurück kommen am Lagerfeuer von ihren Abenteuern berichten.
Die Zimmer sind alle einfach aber klar und schön eingerichtet. Die Atmosphäre in dieser Lodge ist sehr angenehm, das Essen jedoch ziemlich miserabel, das wenige uns ansprechende Essbare gibt es meist gerade nicht.
Wir wollen es noch wissen: Wie sieht sie aus, die Altstadt mit den französischen Bauten. Wir laufen und laufen. Es kann doch nicht so weit sein bis zum Fluss. Es ist weit. Beinahe 4 km zieht sich die Ausfallstraße, an der weit mehr Häuser stehen als im alten Stadtzentrum. Der Stadtkern mit seinen schönen Kolonialbauten ist sehr übersichtlich und zu Fuß schnell abzulaufen. Kulinarische Highlights hat dieser Ort kaum zu bieten, vielleicht liegt unser Gemäkel aber auch an unserer fortschreitenden Aversion gegenüber Asiafood. Einzig das Inthira Hotel lädt zu gutem europäischen Essen ein. Thomas isst dann doch ein laotisches Nationalgericht: Larb. Es wird schon dunkel, als wir uns auf den Heimweg machen. In einem kleinen Friseursalon lässt Thomas sich die Haare schneiden. Und färben. Das ist ein Abenteuer. Fast ausschließlich mit der Schere schneidet die junge Laotin sehr akkurat. Dann werden die Haare gewaschen. Dazu legt er sich auf eine Art Massagebank. Das Wasser ist kalt und wird mit einem Schlauch über den Kopf gegossen. Dabei achtet die Dame sehr genau darauf Thomas nichts in die Augen zu gießen. Damit sein T-Shirt nicht nass wird, hat er einen schweren Gummilatz auf der Brust. Beinahe wie beim Röntgen. Nach dem Färben wird die Prozedur wiederholt und Thomas bekommt noch eine Kopf- und Gesichtsmassage. Knall-Schwarz sind seine Haare jetzt. Ungewohnt heftig. Aber das olle Grau mochte er auch nicht mehr sehen. Für die letzten zwei km Heimweg finden wir ein Tuk-Tuk. Todmüde fallen wir ins ins Bett.
Tagsüber wird es heiß, nachts hingegen ist es empfindlich kalt. Wir ziehen Socken und sämtliche langärmligen Klamotten an. Ohne unsere warmen Schlafsäcke bleibt es ungemütlich. In einer Nacht weckt uns ein Knistern auf, eine Ratte macht sich genüsslich an unserem letzten Keks zu schaffen und flitzt durch den Türspalt, als wir sie entdecken. Na wenigstens ist es keine Kakerlake…
Am ersten Tag wollen wir mit Rädern zu den nahe liegenden Karstbergen und verschiedenen Höhlen fahren. Doch es ist gar nicht so einfach in dieser Gegend Fahrräder aufzutreiben. Nach langem Umherlaufen und Suchen finden wir doch noch jemanden, der Fahrräder verleiht. Drei. Dörthe und Rainer, beide Lehrer aus Braunschweig, ebenfalls im Sabbatjahr, die wir am Tag zuvor kennen gelernt haben, steigen aufs Motorrad um. Unser Glück ist allerdings nur von kurzer Dauer. Die Räder stellen sich als totale Katastrophe heraus, auf dem einen sitzt man sich den Hintern wund, auf dem anderen zerfallen einem die Knie in alle Einzelbestandteile. Damit alles gerecht abläuft, wechseln wir in regelmäßigen Abständen die Gurken. Und wer glaubt, dass wir unendlich viele Höhlen besichtigen und in der schönen blauen Lagune baden werden, irrt. Denn wir irren wie die Irren durch die Walachei und über die Straßen auf der Suche nach DER Buddhahöhle, und das auf diesen Rädern… Die Landschaft um uns ist wunderschön, das Dorf, durch das wir fahren total idyllisch, doch Zeit zum Genießen bleibt kaum, wir beißen die Zähne zusammen und strampeln. Nachdem wir eine gefühlte Ewigkeit die Hauptstraße entlang fahren (hier verkehren die Laster mit den Straßenkötern für die vietnamesische Küche – es sind nur gut 100 km bis zur Grenze) und immer noch kein Wegweiser zur Buddhahöhle auftaucht, kehren wir um. Und siehe da, auf dem Rückweg kurz vor der Stadt plötzlich das Schild. Damit sich all die Strapazen noch lohnen, fahren wir dennoch zur Höhle, d.h. noch einmal 17 Kilometer über rote Staubstraßen. Dafür gibt es hier kaum Verkehr. Als wir ankommen sind wir wirklich fertig und unterzuckert. Zum Glück gibt es Cola. Aber Oh weh dieser Hintern, oh Schreck diese Knie. Am Eingang zur Höhle treffen wir die Braunschweiger wieder, die keine Fahrräder mehr bekommen haben und mit ihrem Motorrad etliche wunderschöne Höhlen bewundert und in der Lagune gebadet haben. Grrrr… Doch das Erlebnis in der Buddhahöhle entschädigt vorerst für alles. Wir klettern noch einmal hundert Stufen hinauf zum Eingang und begreifen warum so viele voll beladene Pickups an uns vorbeigefahren sind und uns im Staub begraben haben: In der Höhle stehen unzählige Buddhastatuen, zwei bettartige Gestelle voll mit Opfergaben. Weiße Fäden werden von den ‚Betten‘ zu den Buddhafiguren und den weit im Inneren der Höhle sitzenden Mönchen gezogen. Eine größere Gruppe Einheimischer sind dort mit ihren Familien, jeder Menge kleiner Geldscheine, Reis und Obst aufgeschlagen und halten gemeinsam mit Mönchen eine Zeremonie ab. Während die meisten mit voller Hingabe singen und beten, lässt sich einer der beiden Mönche in der dunklen Nische seine Zigarette schmecken. Ein Moment der Stille und Zufriedenheit kehrt in uns ein. Und mit diesem sehr angenehmen Gefühl verlassen wir wieder die Höhle. Damit wir vor Einbruch der Dunkelheit die Stadt erreichen, schwingen wir uns wieder auf unsere klapprigen Rösser, mobilisieren unsere letzten Kräfte und heizen heimwärts.
Total erschöpft komme wir zu Hause an. In der Nacht friert Thomas wie ein Schneider. Für den kommenden Tag haben wir unsere Fahrt zur Kong Lo Cave gebucht. Die bisherigen Erfahrungen haben uns gelehrt, wie anstrengend, zermürbend und zeitaufwendig das Vorankommen in Laos sein kann, und so beschließen wir, für mehr Geld aber auf bequemem Weg zur Höhle zu gelangen: Wir fahren im bequemen Mini-Van 400 km als Tagestrip. Thomas merkt bereits, dass bei ihm etwas im Eiltempo im Anmarsch ist. Zuerst fahren wir die Hauptstraße entlang, die nach Vientiane führt. Ab Ban Na Hin wird die Landschaft immer bezaubernder. Der Van schiebt sich die Serpentinen hoch, hinein in das Karstgebirge, dann wieder hinunter in ein Tal, das von den zerklüfteten Bergen umschlossen wird. Traumhaft schön. Als wir am Ziel ankommen, gibt es erst mal Lunch. Unglaublich: In dieser ländlichen Einsamkeit und in diesem sehr einfachen Restaurant: Total europäisiertes Essen. Für unsere an asiatische Kost gewöhnte Zungen absolut geschmacklos. Thomas ist dankbar für einfache Hühnersuppe und die pharmazeutische Industrie. Ein Weg führt durch einen Wald in zehn Minuten hin zu einem smaragdgrünem Wasser, das von hohen Bergen umgeben ist. Wir leihen uns an einem Stand Kopf-Taschenlampen aus und laufen zum Eingang der Höhle. Es wird zunehmend dunkel, wir steigen ins Boot ein und los geht’s. Hinein in den 7,5 Kilometer langen Tunnel eines Kalksteinberges, durch den ein Fluss hindurchführt. Außer unseren Stirnlampen und den beiden unserer Bootsführer gibt es kein Licht. Die Höhle ist riesig. An manchen Stellen sind es wenige Meter über dem Kopf, dann öffnet sie sich wieder in riesige Hallen, deren Decken wir kaum erahnen können. Das Boot legt an einer Stelle der Tunnelhöhle an und wir laufen entlang schöner Stalaktiten und Stalagmiten, die während wir vorbei gehen für kurze Zeit von Scheinwerfern an geleuchtet werden. Dann geht es mit dem Boot weiter durch die Dunkelheit, in Kurven, abwechselnd durch engere oder weitere Bereich, vorbei an dunklen sandigen Ufern, im Flachwasser hören wir die Kiesel unter unserem Kiel rollen, bis wir Licht am anderen Ende des Tunnels erspähen. Noch einmal müssen wir das Boot verlassen, damit es einen Felsvorsprung hoch gehievt werden kann. Ein paar Meter waten wir durch flaches aber schnell fließendes Wasser, dann steigen wir wieder ein, fahren aus der Höhle heraus und ein kleines Stück den Fluss hinauf. Wasserbüffel und Kühe sonnen sich am Ufer. Thomas geht es dreckig. Er friert selbst mit Jack in der Sonne. Nach einer kleinen Pause am Ufer geht es auf dem gleichen Weg zurück. Acht Kilometer unter Stein. Es ist atemberaubend, in der Dunkelheit und durch einen Berg hindurch auf einem unterirdischen Fluss zu schippern.
Die 200 km zurück vergehen dank des bequemen Fahrzeuges wie im Fluge. Thomas fiebert bereits wie wild. Als wir in Tha Khaek ankommen sind es fast 40 Grad.
Am kommenden Morgen ist das Fieber unten. Thomas fühlt sich erstaunlich gut. Nur etwas matt und das ist nach dem Ritt eigentlich klar. Wir bleiben noch einen Tag zum Ausruhen, bewegen uns nicht vom Hof weg, schreiben Emails und am Blog. Beim Frühstück begegnen wir den deutschen Biologen wieder, mit denen wir gestern den Bus geteilt hatten. Malaria, wäre eine Erklärung für das rasche Absinken des Fiebers. Nachweisen kann man es nur an dem Tag, an dem das Fieber wieder beginnt zu steigen. Also Abwarten und Tage zählen (bei einer Form kommt das Fieber alle drei, bei der anderen alle vier Tage).
PS An den Laostexten haben wir beide gearbeitet. Also nicht wundern, wenn der Stil mal hin und her wabert…