Morgens um acht geht unser Bus nach Luang Prabang. Ein Pickup bringt uns zu einem weit außerhalb liegenden Busbahnhof. Diese Fahrt ist lang aber vergleichsweise angenehm. Wir nehmen die Nationalstraße 13, die wichtigste Nord-Süd-Verbindung in Laos. Die teilweise enge und kurvenreiche Strecke führt an Straßendörfern vorbei, in denen Menschen in wirklich sehr einfachen Hütten wohnen. Ein- oder zweimal im Dorf gibt es kleine betonierte Flächen mit aus Rohren fließendem Wasser, auf denen sich am späten Nachmittag einige Menschen waschen. Hier in den Bergen sehen wir keine Flächen zum Anbau von Lebensmitteln. Wir sehen aber das ein bestimmtes frisches Gras geschnitten, in kleinen Bündeln auf Steine oder die Straße gehauen und in die Sonne zum Trocknen gelegt wird. Der Anblick der Karstberge ist beeindruckend. Weil die Straße sich in vielen Kurven in die Höhe schraubt, können wir sie in ständig wechselnden Perspektiven sehen.
Es wird schon dunkel, als wir Luang Prabang erreichen. Mit einem Sammeltaxi fahren wir in unsere Pension, die wir im Internet gefunden hatten. Auf den ersten Blick scheint die Wirklichkeit nicht mit der Webseite und auch nicht mit dem stolzen Preis für dieses Zimmer zu korrespondieren. Letztlich sind wir aber doch ganz zufrieden. Unsere Pension ist ein umgebautes altes Familienhaus und hat einen wunderschönen Blick auf den Fluss. Morgens liegt lange Nebel im Tal und es ist richtig frisch.
Wir erklettern den Phu Si, jenen heiligen Berg, von dem wir einen wunderschönen Blick über die umliegende Landschaft haben. Es ist noch nicht so spät. Alle 10-20 Minuten sehen wir Flugzeuge landen, die neue Touristen in die Stadt spülen. Tiziano Terzani, dessen Buch über die Mysterien Asiens 1993 (Fliegen ohne Flügel), also vor knapp 20 Jahren geschrieben ist, fürchtet diesen Flughafen, der damals noch im Bau ist. Er befürchtet Luang Prabang könne mit den Massen seinen Zauber, seine Mystik verlieren. Wir finden seine Angst bestätigt. Die Stadt und seine Klöster sind wunderschön. Die Hauptstraße glänzt mit gediegenen Restaurants mittlerer und gehobener Preisklasse, französischen und portugiesischen Bäckereien, italienischen Pizzerien. Die Klöster, die im sozialistischen Laos als Museen geführt werden, haben auch genau diesen Charme. Wunderschön aber überlebt.
Im Royal Palace Museum, auf der anderen Seite des Berges, sehen wir den wichtigsten Buddha der Stadt. Eine stehende Figur, die Hände segnend oder schützend, abwehrend erhoben. Viele Buddha der Stadt sind daher in der selben Haltung gearbeitet. Der alte Palast ist ein wunderschöner menschenfreundlicher Bau. Das Gefühl entsteht durch sein Maß, seine offenen, klaren und einfach eingerichteten Räume. In einem Nebenbau ist eine Fotoausstellung untergebracht. Ein deutscher Fotograf hat eine Gruppe buddhistischer Mönche während eines Vipassana Retreats begleitet. Die Fotos bleiben für mich auf einer romantisch verklärenden Seite, auch wenn das eine oder andere schöne Porträt dabei ist. Die Sehnsucht dabei zu sein, sich durch das Fotografieren etwas nahe zu bringen, teilzuhaben, vielleicht einzuverleiben, ist mir vertraut.
Noch einmal erklettern wir den Berg Phu Si zum Sonnenuntergang. Voll ist es jetzt hier. Touristen aus allen Ländern. Und weil mit der Religion nicht vertraut oder einfach ignorant und nicht willig, treten Treckingsandalen, Sportschuhe oder Flipflops, sitzen dicke Hintern von zu spärlich bekleideten Herren und Damen hier hinter den Absperrungen auf dem heiligen Fels. Der beste Platz in Konkurrenz mit allen anderen um das glühendste Foto, darum geht es hier weit mehr als um spirituelles Erleben.
Nach Sonnenuntergang erleben wir den Hmong Night Market. Nur auf den Tourismus abgestimmt findet sich hier jede Menge Kunsthandwerk. In Luang Prabang geben wir zum zum ersten Mal unsere Kaufzurückhaltung auf. Was wir mitbringen werden, wird aber nicht verraten.
Am kommenden Tag wollen wir alle alten zum Weltkulturerbe zählenden Klöster besichtigen. Leider bleibt die Sonne heute verborgen und alle kunstvollen Glasmosaike zeigen nur einen schwachen Glanz. Am bedeutendsten ist das Wat Xieng Thong, 1560 erbaut und mehrere Male renoviert und erneuert. Auch heute wird gearbeitet, Mosaike ergänzt und Malereien aufgefrischt. Einige Wandmalerien sind erst im 20. Jahrhundert angefertigt worden. Drinnen überwiegt dunkles Holz und Gold. In einem beinahe noch prunkvolleren Nebengebäude sehen wir einen für Umzüge genutzten Prachtwagen. Darum herum lehnen zahlreiche Buddhas an der Wand, die etwas abgestellt aussehen.
Von hier aus laufen wir wieder Richtung Stadt, machen noch in ein paar Klöstern halt. Die dichteste Athmosphäre erleben wir in den weniger bedeutenden, in denen hier allerdings auch noch historische Figuren stehen. Vom französischen Café aus beobachten wir Mönche beim Abriss kleinerer Hütten. Das wirkt ungewohnt martialisch.
Gemeinsame Meditationen, wie im Reiseführer beschrieben, gibt es nicht mehr. In einem Kloster können wir den Mönchen jedoch beim Abendgebet zuhören. Spannend und weit weniger ‚heilig‘ als wir westlichen Betrachter uns vorgestellt oder auch erwartet haben. Nachdem ein junger Mönch, Plätze bereitet, Kerzen und Räucherstäbchen angezündet hat, schlägt er eine laut und hart klingende Glocke. Drei Mönche um dreißig haben vor dem Altar Platz genommen und beginnen mit Gesang und Gebet. Nach und nach kommen andere, meist sehr junge Mönche hinzu, singen oder packen das Handy aus und spielen, bewerfen sich gegenseitig mit Papierkügelchen. Nur wenige wirken innig. Sie heben sich deutlich von den anderen ab, die vielleicht hier sind, weil die Familie arm ist, das Kind nicht ernähren konnte oder weil Mönch sein die einzige kostenfreie Möglichkeit ist zu guter Schulbildung zu kommen. Es bleibt ein Kommen und Gehen. Als das Gebet beendet ist gibt es einen lauteren Wortwechsel zwischen den etwas älteren und den Jungs. Wir verstehen nicht, aber es klingt wie ein Rüffel. Dann heißt es in unsere Richtung ‚Finish – go to bed.‘
Am vorletzten Abend gehen wir mit Dörte und Rainer essen, die wir in Luang Prabang wieder getroffen haben. Das Restaurant am Ufer, das wir uns ausgesucht hatten ist und bleibt leer. In der Hauptstraße essen wir kleines Gratin, trinken zum ersten Mal Wein und plaudern bis das Personal nach Hause will.
Zu Fuß erkunden wir am kommenden Morgen die andere Flussseite. Hier, an der Rückseite des Tourismus werden kleine Häuser gebaut, finden sich kleine Geschäfte mit Waren für den täglichen Bedarf. Hier ist wieder ein Stück Laos. Wir kommen an einem Kloster vorbei, das keine große Geschichte besitzt und von kaum einem Touristen besucht wird. Kinder spielen Ball auf dem nicht wirklich sauberen Innenhof. Es ist unheimlich heiß. Wir finden ein in den Hang gebautes Restaurant. Hier unter Bäumen im Schatten können wir auf Matten hocken, auf den Fluss blicken und unseren Gedanken nachhängen. Auch für Touristen gemacht, aber weniger bieder und sehr gemütlich. Von der Stadt über eine private Bambusbrücke zu erreichen, die wir auch für den Rückweg nehmen.
Wir müssen uns entscheiden, ob wir noch die Buddhahöhle besuchen wollen oder uns den Kuang Si Wasserfall ansehen. Wir wählen den Wasserfall. Fast eine Stunde dauert die Fahrt mit einem kleinen offenen Pickup. Kaum heraus aus der Stadt schrauben wir uns langsam durch Felder und Wälder in die Höhe. Wenige Fahrzeuge begegnen uns. Die gefühlte Einsamkeit ändert sich schlagartig, als wir das Ziel erreichen. Der Parkplatz ist voller Reisebusse, Essensstände säumen den Straßenrand und ebenso viele einheimische wie westliche Touristen machen sich auf den Weg zum Parkeingang. Zuerst erfahren wir Lehrreiches über Tierquälerei am asiatischen Kragenbären und sehen ein paar befreite Exemplare. Wieder einmal hat Quälerei mit traditioneller asiatischer Medizin zu tun. Der Weg geht langsam bergan. Bald sehen wir die ersten Becken. Solch einen Wasserfall habe ich noch nicht gesehen. Kaskadierende Becken türkisblauen Wassers. Über ein tieferes Becken ragt ein Baum, von dem (ausschließlich westliche) und bis auf eine Ausnahme männliche Touristen ins Wasser springen. Ein paar Minuten bergauf traue ich mich auch ins Wasser. Unglaublich kalt. Frühsommer-Ostsee-Qualität. Mit etwas Überredung bekomme ich auch Robert ins Wasser. Er bleibt allerdings nicht lange. Abtrocknen ist nicht, wir haben nur eine Badehose und kein Handtuch dabei. Immerhin sind hier zwei einfache Umkleidekabinen in den Wald gebaut. Auch in Laos ist man eher prüde, zeigt kein und sieht auch nicht gerne nacktes Fleisch.
Weiter oben am Berg sehen wir den ‚wirklichen Wasserfall‘. 50 oder 100 Meter (ich kann Höhe nicht so gut schätzen) fällt das Wasser senkrecht herunter. Robert möchte ‚on top‘ und so klettern wir einen abenteuerlichen Pfad nach oben. Dort ist es wieder flach. Der Wald scheint im Wasser zu stehen. Plötzlich eine Kante, ein einfach zusammen genagelter Zaun schützt vor dem Absturz in die Tiefe. Direkt an der Fallkante ist vom Rauschen des Wasserfalls kaum etwas zu hören. Beeindruckend wie unterschiedlich die beiden Seiten – vor und nach dem Fall – aussehen und klingen. Auf der Fahrt nach Hause wird’s eng im Pickup. Wir nehmen ein paar gestrandete spanische Jungs mit, denen das Geld ausgegangen ist.
Zum Abschied gehen wir noch einmal zu dem leckeren Inder, bei dem wir den ersten Abend gegessen haben. Ich esse eine absolut leckere Spezialität aus Hühnerfleisch. Beinahe trocken mit Minze und vielen Kräutern, scharf aber extrem lecker.
Am Morgen unserer Abfahrt habe ich Fieber und entleere mich in alle Richtungen. In dieser Verfassung acht Stunden Bus fahren, prost Mahlzeit. Also Immodium und ab zum Busbahnhof.
Unser Bus steht schon bereit. Ein direkter Bus nach Vang Vieng. Wir haben VIP-Bus bezahlt, aber dieser hat keine Toilette an Board. Pünktlich verlassen wir den Bahnhof, um gleich wieder zum Tanken zu halten. Mit vollem Tank kommen wir aber auch nicht viel weiter. Gleich hinter der Ausfahrt bleibt unser Bus mit Kabelbrand auf der Strecke. Vom Busbahnhof werden Kabel und Isolierband gebracht und eine dreiviertel Stunde später sind wir wieder fahrtüchtig. Um das versäumte aufzuholen fahren wir beinahe ohne Pause durch. Zum Glück für mich hält der chemische Pfropfen, und Trinken haben wir uns auf Fahrten abgewöhnt. Einen Halt gibt es in den Bergen. Der Fahrer will in den Bergen gestrandete Radfahrer gegen saftiges Entgelt mitnehmen. Wir sind in einem kleinen Dorf. Kein Restaurant, keine Toilette. Eine neuseeländische Familie mit zwei Mädchen gerät in heftigen Streit mit dem Busfahrer, der sein Geschäft durchzieht aber es den Mädchen nicht ermöglicht eine Toilette zu besuchen. Schließlich dürfen sie das WC eines Händlers benutzen. Aber auch das dauert dem Fahrer zu lange, wildes Hupen soll die Mädchen von der Toilette scheuchen. Jetzt wird von beiden Seiten geschrien. Am frühen Abend erreichen wir Vang Vieng. Wir müssen etwas suchen, bevor wir die Brücke finden. Wir wollen abseits von den Partymachern auf der anderen Flussseite schlafen. Ich schleppe mich schon etwas, mein Fieber steigt wieder. Wir steigen in einem brandneuen Bungalow des Cliff View Bungalow Resorts ab. In den Betten gibt es dicke Decken. Und die werden wir schon brauchen.