30. Januar 2011 Mandalay-Sagaing
Heute sind wir beide erkältet. Unser Trip zu den Hügeln von Sagaing mit seinen mehr als 500 Stupas beginnt erst um zwölf, so haben wir Zeit uns zu pflegen und jede Menge Wasser zu trinken. Robert wird es auf sechs Liter bringen. Kaum treten wir die Tür – wir wollen noch kurz ins Internet-Café – kommt der geschäftstüchtige Rikscha-Fahrer auf uns zu, fragt ob und wann wir heute nach Sagaing wollen. Er hat eine sehr unangenehme Energie, schnell und gierig. Ich vermute, dass es Ärger geben wird mit unserem Fahrer. Und so ist es auch. Die Rikschafahrer beanspruchen auch für diesen unabhängig von ihnen vereinbarten Trip eine Provision, die unser Taxifahrer jetzt aus eigener Tasche zahlen muss. Vorerst, denn ihm wird etwas einfallen.
Auf dem Weg nach Sagaing liegt die Mahmuni Paya. Ihre Besonderheit liegt in einer Buddha-Figur, die in den letzten hundert Jahren von den Gläubigen so stark mit Blattgold belegt worden ist, dass sie Tonnen wiegt, wie ein Schatz bewacht wird und wie manch alternder Mann ziemlich aus dem Leim geht. In den innersten Bereich dürfen nur Männer. An der ‚Grenze‘ steht ein Angestellter, der Blattgoldgaben von Frauen entgegennimmt, und sie, wenn ein paar zusammen gekommen sind, ins Innere trägt, mit einer langen Stange zum Buddha hochreicht, wo sie ein weiterer Angestellter aufbringt.
Heute ist Sonntag und es herrscht ziemlicher Betrieb. Der Buddha sieht inzwischen ziemlich verbeult und deformiert aus, der Stimmung und Energie, die in diesem heiligen Raum zu spüren ist, tut es aber keinen Abbruch, peinlich sind einige Touristen, die mit ihrer Jagd und Gier nach guten Bildern Grenzen überschreiten. Ein unangenehmer Vertreter der Fotografengilde steppt durch die Gläubigen und jagt seine Bilder. Ohne jedes Gefühl für Glauben, Tabus und Empfinden der Menschen. Ein Betender versucht den Fotografen zum Hinsetzen zu bewegen, indem er ihn in der Kniekehle anstößt. Mehrfach. Keine Reaktion. Müsste ich so mein Geld verdienen, ich würde verhungern.
In unserem kleinen blauen Toyota, dessen Tür sich heute immer von alleine öffnet, fahren wir weiter nach Sagaing. Als wir über die Brücke fahren, sehe ich auf beiden Uferseiten riesige Halden riesiger Baumstämme. Teak. Es wird nach China verschifft. Wo kommt dieses Holz her? Wie sehen die Wälder in diesem Land aus? Ärger riskierend hält Win San auf der Brücke an und ich kann ein Foto machen. Etwas später hält er noch einmal und macht uns einen Vorschlag: Er möchte uns die sechs Dollar für das Government-Ticket für Sagaing ersparen. Mit 2000 Kyat Bakschisch wären wir dabei. Genau die Provision denke ich und grinse in mich rein, was solls – er ist ein Netter.
In der Stadt angekommen erklimmen wir Sagaing-Hill, die klassische Touristenattraktion. Von hier aus hat man einen herrlichen Überblick über das Irrawaddy-Tal und die die vielen Klöster, Tempel und Stupas.
Auf halber Strecke lernen wir einen Mönch kennen, der recht gut englisch spricht. Er lebt seit 15 Jahren hier in Sagaing. Vorher war er Pflanzer in seinem Dorf, 45 km von Bagan, sagt er. Er ist auch 1974 geboren und ebenfalls im November, aber nicht am 15ten. Drei Tage trennen die beiden. Wir lachen. Ob wir Fragen haben. Noch haben wir keine. Gemeinsam steigen wir bis nach oben. Von hier haben wir einen Überblick über Klöster und Tempel. Es werden auch immer noch neue gebaut. Die Unterhaltung wird wichtiger als das Sightseeing.
Gemeinsam treffen wir eine deutsche Frau, knapp 60 in Begleitung einer burmesischen Jugendlichen. Vor wenigen Jahren hatte Sie einen Urlaub in Mandalay verbracht und spontan zwei Stunden an einer Klosterschule unterrichtet. Diese Klosterschule in Mandalay unterrichtet Novizen und Novizinnen gemeinsam mit anderen Kindern. Novizen und kleine Nonnen dürfen den Unterricht an staatlichen Schulen nicht besuchen (wenn ich das richtig verstanden habe), und vor allen Dingen ist der Besuch der Schule kostenlos. Finanziert wird die Schule durch australische Spenden und ein Teil des Unterrichts findet in Englisch statt. Nach dem Taifun 2008 hat die Schule Waisen und verlassene Kinder aufgenomen. An dieser Schule wird die deutsche Frau die kommenden zwei Wochen – einen Teil ihres Urlaubs – unterrichten. Sie ist gespannt, etwas aufgeregt aber auch sehr offen und mutig. Toll, was man mit wenig Engagement machen kann. Das junge Mädchen ist total aufgeweckt und erzählt begeistert von ihrer Schule. Nur der Worte nach hätte ich sie für eine Lehrerin gehalten.
Von oben zeigt der Mönch uns wichtige Klöster und Tempel und nennt deren Namen. Noch denke ich einige davon zu sehen und zu Fuß von einem zum anderen zu gehen, doch unser Tag wird anders verlaufen…
Gemeinsam machen wir uns an den Abstieg, verabschieden uns auf halber Strecke von unserem Begleiter und treffen unten auf Win San, unseren Fahrer. Der meint, um weitere Klöster am Berg zu sehen, müssten wir wieder hinauf laufen und einen Abzweig nehmen, aber da Robert Hunger hat und auch kein Gramm mehr verlieren darf, fahren wir an den Fluss in ein Restaurant mit chinesischen Gerichten. Es liegt unter einem riesigen 400-jährigen mit weit ausladenden Ästen Schatten spendendem Baum. Hier kann Win San auch bei uns sitzen, wir bestellen ‚Fried Rice‘ und bekommen auch ein paar Tomaten (wohl, weil wir sie so gelobt haben).
Ich frage Win San nach dem alten Foto eines europäisch wirkenden Paares, das in einem kleinen Goldrahmen hinter seinem Lenkrad steht. Es ist ein deutsches Ehepaar, seine ‘Gönner’. Ihnen gehört das kleine Blue-Taxi. Sie leben in Thailand. Einmal im Jahr kommen sie nach Myanmar und kassieren $200 Miete für das Auto. Win San hat die High-School besucht, daher spricht er so gutes Englisch. Er ist verheiratet. Seine Frau, eine Schneiderin, konnte auf dem Dorf, in dem beide lebten, ebenfalls keine Arbeit finden. Frisch verheiratet kamen beide nach Mandalay. Zuerst verdienten sie kleines Geld, indem sie auf einem Markt Gemüse und Tomaten verkauften. Das deutsche Paar kaufte dort immer wieder, sie lernten sich kennen und kamen schließlich ins Geschäft. Win San ist glücklich über seine Chance mit dem Auto deutlich mehr Geld verdienen zu können als auf dem Markt. Obwohl schon ein paar Jahre verheiratet, haben beide noch keine Kinder. Zu teuer. Seine Frau nimmt die Pille.
Gleich bei der Ankunft in Mandalay im Morgengrauen hatten wir uns über die nicht enden wollenden Schlangen von Motorradfahrern im Stadtbild gewundert. 4 oder 5 Mopeds neben einander, oft km lang und über viele Kreuzungen hinweg hatten wir sie stehen sehen. Win San klärt uns auf: Bis vor etwa 5 Jahren habe es in Myanmar nur sehr wenige Motorräder gegeben. Alte, zuverlässige Maschinen. Dann hätte es plötzlich sehr preiswerte chinesische Motorräder gegeben. Nur etwa $ 150 hätten sie gekostet und jeder hätte eines haben wollen. Tatsächlich ist die Stadt voll von Krads und die Luft beissend voller Abgase. Nach gut einem Jahr hätte die Regierung dann plötzlich $300 an Lizenzgebühr von jedem Motorradfahrer kassiert, der sein Motorrad behalten wolle. Die Benzinpreise wären extrem in die Höhe geschnellt und die Qualität des Treibstoffs werde immer schlechter. Das gesamte in Myanmar geförderte Rohöl werde jetzt komplett an chinesische Investoren verkauft, dort oder in neu zu bauenden Raffinerien im Land aufgearbeitet und den Burmesen teuer zurück verkauft. Es sei jetzt voller Zusätze, brächte viel weniger Leistung und die Motoren seien viel häufiger kaputt.
Die Chinesen haben bei den Menschen, die mit uns sprechen, keinen guten Ruf. Alles, was aus China kommt, hat schlechte Qualität. Und die Chinesen schöpften den gesamten Reichtum, die Ressourcen des Landes ab. In Sichtweite unseres idyllischen Uferrestaurants hätte die Regierung jede Menge Land enteignet, dass eigentlich einem Dorf gehört habe. Die Menschen seien nicht entschädigt worden und hätten wegziehen müssen. Er glaube, dass hier in Flussnähe Platz für eine chinesische Raffinerie gebraucht werde. Was die Regierung wolle, nehme sie sich einfach. Was Landnahme betrifft hatten wir am Strand ähnliches gehört. Sie ist wohl als abgeschlossen zu bezeichnen. Wahrscheinlich braucht diese Oligarchie immer weniger politische und militärische Macht und kann sie wie in unseren Demokratien mehr und mehr durch ökonomische Macht ersetzen.
Gestärkt machen wir uns auf den Weg. Wir sehen einen Tempel am Fluss mit einer breiten, aber einfachen Stupa, der gerade renoviert wird. Männer und Frauen schleifen mit Bürsten und Kratzern die losen Schichten herunter. Überall liegt Staub. Diese Stupa stammt aus dem 13. Jahrhundert erfahren wir. Viele der Tempel am Berg sind älter.
Immer wieder begegnen wir freundlichen Menschen, jung und alt, die uns anlächeln, zuwinken und ansprechen, diese Herzlichkeit ist sehr ergreifend, dieses Leuchten in den Augen und dieses wunderschöne Lächeln bezaubernd, auch wenn wir nur eine Oberfläche wahrnehmen.
10 Minuten Autofahrt trennen uns von der Kaunghmudaw Paya mit ihrer gigantischen Stupa. Sie, die jahrelang weiß gewesen ist, wird gerade golden gestrichen. Sie wurde 1636 nach der Mahceti in Sri Lanka erbaut, auch wenn die Legende sagt, dass die damalige Königin, die sich von ihrem Mann eine besonders schöne Stupa wünschte, auf die Frage, was sie denn schön fände ‚meine Brust‘ gesagt haben soll, die so zum Vorbild für Form und Größe wurde. Auf unserem Rundgang (immer links herum, dem Urzeigersinn, der Richtung des Lebens…) vergeht das letzte Sonnenlicht. Einheimische Besucher suchen an den Ständen noch das eine oder andere Souvenir oder machen Erinnerungsfotos. Wir genießen Ruhe, Stille und Frieden, den wir immer wieder um Stupas herum erleben. Vielleicht ist es neben der Andacht der Menschen auch die Form, der kreisförmige Weg um die Mitte, der keinen Anfang hat und kein Ende, keinen Ausgangspunkt und kein Ziel. In der Mitte versinnbildlicht die Stupa das Nirwana. Eine tiefe Ruhe, Versenkung, Frieden. Es geht keine Tür hinein. Erst mit Borobudur und jetzt hier noch deutlicher, habe ich das verstanden.
Den Weg zurück nach Mandalay nehmen wir am Fluss entlang. ‚Dass wird interessant für Euch sein‘ meint unser Fahrer. Und er hat recht. Wir fahren vorbei an irren Mengen riesiger Teakstämme, den unterschiedlichen Schiffen, die sie verladen und den Fluss hinauf nach China schiffen. Noch einmal sehen wir die Hügel von Sagaing und später bunt leuchtende Flussrestaurants. Zum Teil mit eigenen kleinen Inseln und Stegen. Bunt blinkend, kaum für Touristen sehen sie alle recht teuer aus. Es gibt sie hier, viel deutlicher noch als in Kambodscha, die ultrareiche Oberklasse. Und sie ist nicht überwiegend chinesisch. Vor dem Hotel verabschieden wir uns herzlich von unserem Chauffeur. Weniger Sightseeing und mehr Gespräch hat uns dieser Tag seinen Menschen näher gebracht.