16.2. – 21.2.2011
Wir fahren in die Berge. Knapp 1000 Meter hoch liegt Kumely. Doch unsere Fahrt beginnt mit endlosen Stadtdurchfahrten. Kaum haben wir einen Ort verlassen, taucht der nächste auf. Voll ist es hier – und laut. Beginnt jetzt Indien? Langsam schrauben wir uns dann in die Höhe, das Klima ändert sich und es wird angenehm frisch. Auf dem Scheitelpunkt gibt es sogar Nadelwald (Fichten). Danach geht es wieder etwas herunter, Teeplantagen dominieren die leicht hügelige Landschaft. Ab und an ein Baum, aber meistens Teebüsche, die wie mit der Heckenschere geschnitten aussehen. Pflückerinnen sehen wir heute nicht.
Kumely ist ein kleiner Ort mit einer Hauptstraße, in der sich ebenfalls Geschäft an Geschäft reiht, einem quirligen Busbahnhof und einem kleinen Touristenviertel an der Zugangstraße zum Nationalpark. Hier legen die Hotels, Gasthäuser und auf Touristen zugeschnittene Restaurants.
Wir wohnen im El Paradiso, wieder eine Empfehlung der Betreiber unserer letzten Unterkunft. Das Wetter und auch die Pflanzen in den Gärten erinnern an deutschen Frühsommer. Wirklich angenehm. Unsere Zimmer öffnen sich auf einen langgezogenen Balkon. Gegenüber eine brache Grünfläche, in deren Bäumen jede Menge Vögel wohnen. Auch laut krächzende Sittiche gehören dazu. Gleich am Abend des ersten Tages lernen wir auch eine Horde Schwarz-Languren kennen, die sich sonst nicht ganz so nah in Siedlungsnähe zeigt.
Unseren ersten Lunch nehmen wir im Hotel. Auf dem Weg dorthin riecht es plötzlich intensiv nach Kardamom. Eine Fabrik, so findet Wolf heraus, in der die Samen getrocknet werden.
Nachmittags erkunde ich mit Robert den Ort. Viele Touristengeschäfte, aber wir sehen keine Kundschaft. Die meisten handeln mit Gewürzen (Tee und Gewürze sind die Spezialitäten dieses Landstrichs) und typisch indischem Kunstgewerbe. Die Verkäufer langweilen sich vor den Läden. Im Ortskern wird es bunter. Grüne Wimpel sind in der gesamten Stadt quer über die Straßen gespannt. Musik dröhnt aus an der Straße aufgebauten Lautsprecherboxen. Moslemische Männer und Frauen stehen am Straßenrand und scheinen auf etwas zu warte. Die Frauen im ersten Stock an den Fenstern und auf Balkonen. Die Männer plaudern auf Straßenniveau mit einander. Busse bringen immer mehr Moslems in die Stadt. Vor dem Busbahnhof ist eine Tribüne für einen Redner vor etwas 400 roten Plastikstühlen aufgebaut. Noch ist der Platz leer. Wenige Stunden später können wir im Hotel die Liveübertragung der Veranstaltung im Fernsehen sehen. Ohne zu wissen worum es sich genau handelt. Was wir noch auf dem Heimweg erleben, ist eine Art Umzug oder Demonstration. Mit oder ohne Musik, mit Slogan und Bannern ziehen die Menschen durch die Stadt. Ihre Farben grün-weiss. (Die heiligen Farben der Hindus sind rot und weiß – welche hat das Christentum?)
Gleich hinter dem Busbahnhof liegt die Grenze zum Nachbarstaat Tamil-Nadu. Ein Schlagbaum, Grenzpolizisten und eine Art Zoll. Das haben wir nicht erwartet. Es gibt aber keine Kontrollen von Fußgängern. Gleich nach dem Schlagbaum soll eine idyllische Waldstraße beginnen, die uns unser Gastgeber für einen Spaziergang empfohlen hat. Gleich hinter dem Schlagbaum liegt aber die Bushaltestelle für Busse aus Tamil-Nadu. Die sehen viel klappriger aus als die aus Kerala. Und wie an jeder Bushaltestelle ist es unheimlich dreckig und stinkt nach Urin. Das bessert sich zwar nach einigen hundert Metern aber die Straße ist so staubig, dass die Bäume braune Blätter uns sehr befahren. Wir treffen Makaken und Wolf gelingt es zwischen den LKWs ein paar Vogelstimmen aufnehmen. Aber diese ‚Landidylle‘ macht uns keinen Spaß, wir kehren um.
Im Ökotourismusbüro buchen wir Trecking-Tour durch den Nationalpark. Um acht Uhr morgens geht es los. Wir sehen Hirsche, Rieseneichhörnchen, Wildschweine, viel Vögel sind zu hören. Von Tigern keine Spur, dafür eine 2 Monat alte Elefantenknotknolle. OK, das hatten wir nicht wirklich erwartet, Tieger und Elefanten. Der Wald ist wunderschön. Vieles erinnert uns an unsere Heimat. Laubbäume, Wiesen, Ameisenhaufen. Es liegen viele Blätter am Boden. Auch hier beginnt (mit höheren Temperaturen) gerade der Frühling. Unser Guide ist nicht besonders engagiert, die drei Stunden, für die wir bezahlt haben wären ein Druckfehler auf dem Ticket, alte Bestände und nach 2 Stunden 20 Minuten sind wir wieder am Ausgangspunkt. Von hier nehmen wir eine Motorrikscha tiefer in den Nationalpark zum künstlichen, von den Engländern angelegten See.
Brav stellen wir uns in die Schlange vor dem forstamtlichen Ticktetschalter für Bootstouren. Auch die indischen Familien und Reisegruppen stellen sich an – allerdings nach einem anderen Prinzip: Vor uns, nicht hinter uns wird die Schlange immer länger. Sie beult auch nach allen Seiten aus als hätte sie ein paar heilige Kühe verschluckt. Jetzt beinahe eine Traube. Es ist furchtbar laut, alle sind völlig aufgeregt, ein paar junge Männer versuchen noch lauter zu schreien und ihre Landsleute in Bahnen zu leiten. Mäßiger Erfolg. Tippe ergattert die notwendigen Formulare. Im Stehen füllen wir sie aus. Wie war noch mal der Mädchenname der Großmutter? In unserer Schlange bewegt sich nichts. Noch immer hat der Schalter nicht geöffnet. Wir geben auf, wer will schon über einen künstlichen See fahren und alte abgestorbene Bäume voller Kormorane sehen. Pah! Wir nehmen einen Imbiss. Hier gibt es nur Halbaffen, die etwas lauter sind. Gestärkt wagen wir uns noch einmal zum Ticketschalter. Die Halle ist fast leer. Tippe bringt unsere Formulare gleich an den rechten Mann, ganz ohne Krach und Gedrängel kommen wir so überraschend doch noch zu unseren Fahrkarten. An Bord müssen wir noch ein paar inoffizielle Scheinchen löhnen, dann bekommen wir einen Platz auf dem Oberdeck und die obligatorischen Schwimmweste. Wie die meisten Asiaten, können auch viele Inder nicht schwimmen. Robert, beteuert 1000 Meter in weniger als einer halben Stunde zurck zu legen und darf die Weste offen lassen.
Die indischen Reisegruppen sind jetzt ganz ruhig. Vielleicht hat der Kampf am Schalter erschöpft. Eine ältere Dame schläft fast die gesamte Fahrt über.
Robert und ich besuchen einen Gewürzgarten. Einiges hatten wir ja schon in Indonesien kennengelernt. Dieser Garten ist aber wirklich schön und man will uns auch nichts verkaufen. Auf der Fahrt setzen wir Tippe und Wolf am Krankenhaus ab. Tippes Husten soll endlich besser werden. Der Besuch einer Teeplantage muss dann ausfallen. Auf der Plantage habe es einen Todesfall gegeben. Mehr erfahren wir nicht.
Robert muss sich in diesen Tagen entscheiden, ob er in Zukunft weniger Wochenstunden arbeiten will. Wir führen lange Gespräche über das für und wieder. Schließlich gibt Tippes Argument den Ausschlag: Vom Sabbat-Jahr wiederkommend fühlen sich auch 28 Stunden viel an.
An unserem vorletzten Tag laufen wir einen zweiten 3-Stunden-Treck. Diesmal vom Bootsanlegesteg aus. Wir schiffen uns selbst auf einem kleinen Bambus-Floss über einen Seitenarm des Sees, dann geht es los. Der Wald hier riecht feucht. Wunderschöne alte Bäume. Unser Guide zeigt uns die unterschiedlichen Stadien in denen ein Fikus auf seinem Wirtsbaum wächst und ihnd dann erdrückt. Tiere sehen wir diesmal nicht. Elefantenknochen zeugen von einem Kampf zweier Giganten vor zwei Jahren. Elefanten würden von den Menschen der Dörfer als Götter verehrt, erfahren wir. Nachdem wir vom feuchten in den trockenen Wald gewechselt sind, ein gänzlich anderes Bild, hören wir plötzlich ein lautes Tröten. Gerne würden wir den diesen Laut ausstoßenden Gott des Waldes sehen, aber unser Guide nimmt die Beine in die Hand, rennt wie gestochen davon und bedeutet auch uns zu rennen – um unser Leben, so scheint es, so gr0ß ist seine Angst. Wir sehen also keinen Elefanten aber hören noch so lange Geschichten über die Gefährlichkeit der Tiere und die vielen Unfälle, bis unser aller Herzschlag wieder ruhig ist. Was soll man machen? Hier ist nicht der Zoo. Und die kennen ihre Tiere – oder?