25.2. – 28.2.2011
Wir kommen mit dem Nachtbus nach Mysore. Es ist gerade hell geworden. Die Stadt wirkt entspannter als wir es für eine Millionenstadt erwartet hätten – beinahe klein. Mysore ist bekannt für sein Sandelholz, Duftöle und Räucherstäbchen. Nachdem wir gefrühstückt und uns etwas ausgeruht haben, wollen wir die Märkte erkunden. Wir laufen entspannt los, es ist herrliches Wetter und die Menschen wirken etwas offener und freundlicher als in Cochin. Kaum sind wir um die Ecke gebogen, spricht uns ein junger Mann an.
Er gibt uns den Tipp, heute, am Freitag könnten wir bei der Produktion von Räucherstäbchen zusehen. Am ‚Old Market‘ soll die Vorführung nur heute und nur bis 14 Uhr zu sehen sein. Es ist erst 12, bestes, nicht zu warmes Wetter, wir haben kein festes Ziel, bedanken uns und stiefeln in die angegebene Richtung.
Mysore macht Freude, kaum Hassel, erträglicher Verkehr (solange wir keine Straße überqueren wollen), freundliche offene Gesichter. Nach der großen Moschee (es gibt viele Moscheen in Mysore) biegen wir links in ein altes englisches Viertel: Sehr schmale, 2-3 geschossige kleine Häuser in bunten Farben angemalt säumen die Straße. Ebenerdig liegen oft Werkstätten und kleine Geschäfte, aus Fenstern und Türen schauen ebenso bunt gekleidete Frauen. Spannend, so schöne Bilder, aber ich mag noch nicht fotografieren.
Kurz bevor wir den Markt erreichen, treffen wir unseren Tippgeber wieder. Wir müssen lachen: das ist sicher kein Zufall. Er führt uns die letzten Meter. Die Märkte sind hier von Mauern umgeben. Die Zugänge an den vier Ecken durch eng gestellte Eisenstangen stark verengt. Das verlangsamt, kein Dieb läuft hier schnell hinaus. Angeboten werden Obst, Gemüse, Kräuter, Blumen und Blütenblätter in allen Farben. Wir verabschieden uns zum zweiten Mal: Thanks. ‚Maybe see you again.‘ ‚For sure‘ lautet die Antwort und so wird es dann auch sein.
Haushaltswaren, die meisten aus Weißblech, Edelstahl oder Eisen sind ein weiterer Schwerpunkt der Händler. Jedoch deutlich grober gearbeitet und weit weniger schön und schlicht als wir sie in Myanmar gesehen haben. Fisch und Fleisch wird in einem von einer Mauer abgetrennten Bereich gehandelt. Unsere Nasen danken es. Übrigens – keine Spur von Räucherstäbchen, weder fertig, noch in Produktion. Wo ist denn nun die seltene Vorführung?
Kaum sind wir aus dem Marktgelände heraus, ist unser Freund wieder bei uns. Die Räucherstäbchenproduktion ist nicht am Markt, sondern ein paar Straßen weiter,sagt er. Wir werden in einen kleinen Laden geführt, sehen auch die Rohlinge (Kohle mit Honig um Holzstäbchen – angeblich), aber die Dame, die sie mit ihren Händen rollt ist nicht mehr da. Es ist ja Freitag, erfahren wir. (Eine starke Gewerkschaft muss diese familienfreundliche Arbeitszeit für die Insense-Produzentinnen durchgesetzt haben!). Der Inhaber des Ladens, ist aber auch gar nicht so sehr an Räucherstäbchen interessiert, er will uns lieber die ätherischen Öle vorführen. Jetzt ist uns ganz klar, dass wir gleich am Hotel so richtig abgeschleppt worden sind und hier – noch unwissend über die tatsächlichen Preise – überteuert einkaufen sollen. Wir kaufen nicht und verlassen den Laden, belustigt und erfreut, weil wir wirklich schöne Ecken entdeckt haben auf dieser Verführ-Tour. Unseren freundlichen Tippgeber aber treffen wir nie wieder.
Auf dem Rückweg laufen wir durch größere und viel lautere Straßen. Mysore scheint eine überwiegend moslemische Stadt. An jeder Ecke kann man mindestens auf ein Minarett sehen und für uns erschreckend sehen wir auch viele Frauen Burka tragen. Erstmal haben wir genug von Stadt. In der heißen Zeit legen wir uns im Hotel ab. Um drei, halb vier wird das Licht wieder schöner (Deutschland wo sind Deine Farben!). Wir suchen den zweiten Markt und kommen auf dem Weg dahin am Ghandi-Denkmal vorbei: Mitten auf dem Platz ein ausgemergeltes dünnes Männchen im kurzen Longhi – in Gold! Schon eigenartig. Dieser Markt ist viel größer, voller und bunter. Zuerst fallen uns die Händler mit den vielen bunten Farbhaufen ins Auge. Grelle Farbpulver, die für religiöse Zwecke gebraucht werden. Bei diesen Händlern gibt es auch Räucherstäbchen, allerdings nur verpackte Industrieware. Blumenhändler verkaufen hier keine Sträuße, sondern Blütenköpfe, die im Pfund gekauft werden, zum Schmuck und auch für den Ritus. Männer sitzen im Schneidersitz auf und unter Tischen und ziehen die Blüten zu kunstvollen Ketten auf. Frisches Gemüse gibt es in Mengen, ästhetisch zu Kegeln und Haufen drapiert. Dann die ersten losen Räucherstäbchen: Sandelholz, Amber, Lotus, Jasmin, Nag Champa sind die Düfte, die wir bekommen können. Frisch sind die Stäbe, extrem biegsam und schwer. Aber auch hier wieder die Kombination mit den Duftölen. Die zu verkaufen ist eher die Absicht der Verkäufer, hier muss mehr Geld zu machen sein. Echt oder synthetisch, das ist nicht zu erfahren, bei den Preisen aber mit Sicherheit gestreckt. Wir lernen einen netten Verkäufer kennen und schnell sitzen wir hinter dem Tresen und probieren einen Duft nach dem anderen. Wir stinken schon wie die Pfingstochsen, als wir uns für 6 Öle entscheiden, die wir zu Hause nicht bekommen können. Sicher noch etwas zu teuer, für uns aber ihren Preis wert.
Es ist sehr spannend hier mitten im Leben zu stehen, das so bunt ist, so arm und auch so dynamisch. Jeder versucht sein Geschäft zu machen. Immer wieder kommen Schlepper, zupfen uns Kinder am Arm, die Geld wollen, auch nerven, weil sie wissen, das mancher zahlt, nur um sie los zu werden. ‚Nein‘ sagen hilft hier nicht, auch laut werden nicht, ganz anders als in Myanmar. Nur Ignoranz lässt die Belästigungen verschwinden.
In Asien haben wir gelernt zu akzeptieren, dass jede Freundlichkeit auch einen eigenen Zweck verfolgt. Und das ist auch gar nicht schlimm, wenn man darum weiß und es so oder so nicht persönlich nimmt.
Bald haben wir ein Kilo frische Duftstäbchen zusammen. Am nächsten Morgen lassen wir uns von einer Motorrikscha zur Sandelholzölfabrik bringen. Es ist ein staatlicher Betrieb: ‚Fotografieren Verboten‘ und in Listen eintragen (Vorname der Urgroßmutter?) Gearbeitet wird nicht. Das liegt diesmal aber nicht am klassischen Zweitjob indischer Beamten, sondern daran, dass es gerade kein Holz gibt. Sandel ist so teuer geworden, dass die Einkäufer es nicht beschaffen können. Ein grimmiger und überheblicher Führer erklärt uns die Stufen der Öl-Produktion. Dafür fordert er dann ziemlich grob Trinkgeld und fasst mir beinahe in die Tasche, als ich mich in Ignoranz versuche. In Indien muss der feste Wille ‚Nein‘ zu sagen und dabei zu bleiben stärker werden. Wir lassen uns bei einer populären Café-Kette absetzen – hier soll sich die Jugend treffen – tut sie aber nicht, und laufen durch die Haupteinkaufsstraße nach Hause. Nein, das müssen wir nicht sehen: Flagship-Stores für die Mittelschicht gibt’s auch zu Hause (Nur das hier brennende Räucherstäbchen zwischen den Designerthekenschubladen klemmen).
In Mysore treffen wir Tippe und Wolf wieder. Beide waren zu einer Hochzeit im 150 km entfernten Bangalore eingeladen und erzählen begeistert von dem Fest. Wir schleppen sie gleich auf den Markt, wo wir 2 CD-Läden ausfindig gemacht haben. Wolf ergänzt seine Plattensammlung indischer Klassik um etwa 30 cm – hören können wir leider noch nichts, die Scheiben passen weder in den IPod noch in das Netbook. Das muss also bis Berlin warten. Ich freu mich drauf.
Und wieder haben wir Glück: Es ist Samstag und nur an Wochenenden wird der Palast illuminiert. Obwohl recht neu und mit modernen Materialien rekonstruiert besichtigen wir vorher das Gebäude. Von außen etwas Stalin-Zuckerbäcker mit Türmchen überall. Innen beeindruckt uns besonders die Hochzeitshalle mit einer Kuppel aus Bunt-Glasbildern. Wunderschön. Da Kameras aber verboten sind, gibt es leider kein Bild. Als es langsam dunkler wird beginnt die Beleuchtung. Wie ein gigantisches Coca-Cola Weihnachtsbild sieht der fertig illuminierte Palast nachher aus. Ganz kitschig, schööööön!
Was gibt es noch zu sehen in Mysore? Eine Kathedrale, ebenfalls Beton in alten Formen(1947 erbaut). Es ist Sonntag und wir platzen in die Messe. Es ist rammelvoll, junge und alte stehen bis vor die Tür, singen, beten, werfen sich auch schon mal auf den Boden. Welche Inbrunst, welche Begeisterung vor dem leuchtenden Kruzifix. Davon träumt das säkulare Europa. Nur Benedikt schafft Ostern solche Einschaltquoten. Wir bleiben eine ganze Weile, atmen die fremd vertraute Kirchenluft. Während des lange dauernden Abendmahls machen wir uns auf den Weg. Unser Ziel ist ein Berg im Südwesten der Stadt. Zu viert quetschen wir uns in eine Motorrikscha, die dann auch ordentlich zu tun hat uns in die Höhe zu bringen. Unterwegs weht die Luft angenehm kühl. Wir haben die Stadt hinter und unter uns gelassen. Oben angekommen ist es plötzlich wieder heiß und voll. Hier oben steht einer der bedeutendsten hinduistischen Tempel Indiens und viele sind hier, ihn zu sehen. Die Schlangen sind lang und wir verzichten auf die Besichtigung. Verlassen steht das sprichwörtliche goldene Kalb auf der Straße. Es wird später von einer kleinen Gruppe mit Trara um den Tempel gezogen werden.
Den Abstieg gehen wir zu Fuß. 600 Stufen, mit roten und orangen Punkten auf jeder Stufe. Weit unten begegnet uns eine junge Frau, die zum Tempel hinauf steigt und mit dem Daumen auf jede Stufe Farbpulver aufträgt. Dabei spricht sie Formeln oder Gebete. Doch zuerst ist Fototermin bei einer riesigen Nandi-Skulptur. Sie ist aus einem einzigen Steinblock gehauen. Das riesige Reittier Shivas ist mit Blumen und Farben geschmückt, ein Priester nimmt kleine Geldspenden entgegen und teilt dafür Wasser und Feuer aus. Die Gläubigen fassen mit der rechten Hand über die Flamme und streichen sich dann über den Kopf.
Noch einmal müssen wir mit einer recht rauhen Gruppe junger Männer fürs Fotoalbum posieren, dann setzen wir unseren Abstieg fort. Den ersten Teil des Abends verbringen wir im Kino. Um elf Uhr morgens beginnt hier die erste Vorstellung, auch Nachmittags lange Schlangen, Reisebusse mit Kinobesuchern. Heute, am Sonntagabend ist der Saal aber vergleichsweise leer. Wir hatten uns auf ein tobendes Publikum gefreut und obwohl die Handlung des Films so einfach ist, das unsere geringen Hindi-Kenntnisse das Verständnis nicht unbedingt schmälern, verlassen wir das Kino zur ersten Pause (nach zwei Stunden).
Mysore war toll. Nein, Mysore hat keine klassischen Sehenswürdigkeiten – am spannendsten war das Leben hier, weniger beschaulich und weniger touristisch als in Kerala. Die Fülle, die Düfte und die Farben hier haben einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
In Mysore müssen wir uns auch schon wieder von Wolf und Tippe trennen. Wir hatten bereits unsere Fahrt nach Hampi gebucht, und beide fahren von hier aus in die Berge. Als wir uns verabschieden hoffen wir noch uns irgendwo am Meer wieder zu sehen. Aber Robert und ich werden in Goa zur Ruhe kommen, Tippe und Wolf finden in Nord-Kerala ihren Traumstrand. Dazwischen ein paar hundert km Karnataka. Also, im Juni Strandbar Charlottenburg!